Data

Date:
05-10-1998
Country:
Germany
Number:
12 U 62/97
Court:
Oberlandesgericht Hamburg
Parties:
Unknown

Keywords

APPLICATION OF CISG IMPLIED CHOICE OF LAW OF CONTRACTING STATE CISG APPLICABLE

SCOPE OF CISG EXCLUSIVE DISTRIBUTORSHIP AGREEMENT NOT GOVERNED BY CISG CISG APPLICABLE TO EACH SEPARATE CONTRACT OF SALE CONCLUDED UNDER THE AGREEMENT (ART. 1 CISG)

SCOPE OF CISG FRAUD VALIDITY OF CONTRACT EXPRESSLY EXCLUDED (ART. 4 CISG)

SCOPE OF CISG LIMITATION OF ACTION (PRESCRIPTION) NOT GOVERNED BY CISG - ART. 39(2) CISG NOT APPLICABLE TO CLAIMS FOR PAYMENT

GOOD FAITH AND FAIR DEALING (ART. 7(1) CISG) - GENERAL PRINCIPLE OF CISG REGARDING RIGHTS AND DUTIES OF PARTIES IN PERFORMANCE OF CONTRACT (ART. 7(2) CISG)

Abstract

In the framework of an agreement for the exclusive distribution of electronic products, a Chinese seller made several deliveries to a German buyer. After about eight months the seller avoided the framework agreement without previous notice pursuant to a clause in the same agreement which entitled it to do so in the presence of particularly important reasons. Thereafter the seller commenced a legal action to obtain payment of the price still due by the buyer under the single sales contracts.

Considering the applicability of CISG, the Court pointed out that although framework agreements for exclusive distribution are not governed by CISG, the Convention is applicable to each single contract of delivery concluded under the framework agreement.

Furthermore CISG was applicable to the delivery contracts by virtue of an implied choice for the law of a contracting State (German law). The framework agreement contained an express clause referring to the law of the European Common Market (EU) which the Court interpreted, in the absence of a common European law on distributorship agreements, as a reference to German law as the European law most closely connected to the contract. The implied choice of German law was extended by the Court also to the single delivery contracts and it led to the application of CISG.

The Court held that the seller was entitled to recover full payment according to Art. 53 CISG.
Concerning the limitation of action (prescription) invoked by the buyer, the Court observed that it was a question not governed by CISG, as Art. 39(2) only refers to claims dealing with lack of conformity of the goods, and denied it in application of German law.

Moreover the Court, in the light of the parties' intent (Art. 8(1) CISG) and applying objective international trade standards of interpretation (Arts. 8(2) and 9 CISG) interpreted the net cash payment clause in the framework agreement as an exclusion of the buyer's right to set-off.

Nor would an exclusion of set-off violate the principle of good faith and fair dealing. The Court observed that good faith does constitute a general principle of CISG, to be taken into account in particular regarding the rights and duties of the parties in the performance of the contract. A violation of such principle could ensue, for example, if the excluded set-off regarded claims for breach of contract by the seller. In the case at hand, however, the seller had not breached its contractual duties by terminating the contract, therefore no violation of the principle of good faith was to be assumed.

Finally, the Court held that the question of declaring an agreement void for fraud was not governed by CISG but by the applicable domestic law (Art. 4 CISG). Therefore, it applied German law to determine whether an agreement for the reduction of price had been validly declared void for fraud by the seller.

Fulltext

[…]

Tatbestand:

Die Parteien, die seit mehreren Jahren in laufender Geschäftsbeziehung standen, streiten um die Bezahlung von Forderungen aus früheren Liefergeschäften. Die Kl., die ihren Geschäftssitz in Hunan / China hat und dort elektronische Bauteile (insbesondere sogenannte Leiterplatten) herstellt, hatte mit dem in Hamburg niedergelassenen Bekl. am 31.01.1996 einen Alleinvertriebsvertrag (Exclusive Sales Agreement) über den Vertrieb dieser Bauteile abgeschlossen. Der Vertrag bestimmt in Art. 2 als Vertriebsgebiet Deutschland, Schweiz, Österreich und Niederlande und sieht in Art. I 1 vor: "Applicable law. The law governing this agreement as per European common market (EU)." Für seine Beendigung enthält er in Art. 8 die folgende Klausel:

"Period of application of the agreement

1. The agreement will enter into force on 1st January 1996 for an indefinite period.

2. The agreement can be terminated by either party with an 90 days notice in writing and at the end of a calendar year.

3. The agreement can furthermore be terminated without notice of particularly important reasons, such as bankruptcy or winding up of the business of either party. A majority participation of third parties to the agreement is no reason for the immediate termination of the agreement.

4. This agreement can also be terminated by the SUPPLIER when the sole Distributor fails substantially to fulfil his contractual obligations and has not rectified matters within 90 days receiving written notification from the SUPPLIER, quoting the requirements of this paragraph. See Appendix 3."

In Ausfüllung des Vertrages lieferte die Kl. in erheblichem Umfang Leiterplatten an den Bekl., die dieser an andere Unternehmen weiterveräußerte. Mit Schreiben vom 10.10.1996 kündigte die Kl. den Alleinvertriebsvertrag fristlos, da der Bekl. Zahlungsfristen erheblich überzogen, ferner falsch abgerechnet und sie über angebliche Warenmängel getäuscht habe.

Die Kl. hat geltend gemacht, daß sie aus erbrachten Lieferungen, die sie im einzelnen aufgestellt hat, und unter Abzug von Gutschriften noch Forderungen von insgesamt DM 216.566,94 gegen den Bekl. habe.

Der Bekl. hat sich auf unterschiedliche Gegenrechte berufen. Forderungen über insgesamt DM 42.859,46 hat er mit im einzelnen dargelegten Gründen bestritten. Im übrigen hat er vorgetragen, die Forderungen aus Geschäften aus dem Jahr 1994 (im Gesamtbetrag von DM 40.200) seien verjährt, die Forderung über DM 31.744,85 aus der Lieferung von 7000 Leiterplatten bestehe nicht, da die Leiterplatten unbrauchbar gewesen seien und er sich mit dem Geschäftsführer der Kl., geeinigt habe, daß der Kaufpreis auf 0 gemindert werden solle. Da L. dann aber seine Entlassung habe befürchten müssen, sei man übereingekommen, den Preis pro Leiterplatte für diese und folgende Lieferungen jeweils um DM 1,39 zu mindern, so lange, bis der Gesamtpreis der 7000 Leiterplatten (DM 53.870) kompensiert sei; schließlich sei die Restforderung von DM 101.762,63 durch Aufrechnung erloschen, da der Bekl. von der Kl. Schadensersatz in Höhe von DM 673.306,24 verlangen könne, denn die Kl. habe den Vertriebsvertrag zu Unrecht fristlos gekündigt; dadurch sei ihm ein Gewinn in der geltend gemachten Höhe entgangen.

Die Kl. hat vorgetragen, daß sie zu einer fristlosen Kündigung berechtigt gewesen sei, da der Bekl. sie über angebliche Mängel der gelieferten Leiterplatten getäuscht habe, ferner zu Unrecht Reise- und sonstige Kosten abgerechnet habe und mit Zahlungen erheblich im Rückstand gewesen sei.

Das LG hat der Klage durch Teilurteil in Höhe von DM 173.707,48 einschließlich 5 % Zinsen seit 06.03.1997 stattgegeben, da der Bekl. die Gesamtforderung von DM 216.566,94 dem Grunde nach nur im Umfang von DM 42.859,46 substantiiert bestritten habe und da die im übrigen geltend gemachte Aufrechnung nicht durchgreife.

Gegen das Teilurteil des LG hat der Bekl. Berufung eingelegt.

Der Bekl. trägt vor, hinsichtlich des Betrages von DM 317.44,85 sei zwischen den Parteien eine wirksame Minderung um diesen Betrag vereinbart worden, da L. als Geschäftsführer der Kl. für eine solche Vereinbarung vertretungsbefugt gewesen sei. Im übrigen seien die Forderungen der Kl. durch Aufrechnung erloschen. Zur Begründung seiner Aufrechnungsforderung wiederholt der Bekl. sein Vorbringen, daß sein Anspruch aus einer Schadensersatzforderung resultiere, da die Kl. den Alleinvertriebsvertrag zu Unrecht fristlos gekündigt habe. Zur Höhe dieser Forderung führt er aus, daß ihm durch die Kündigung für das Jahr 1996 ein Verlust von DM 170.136,38 entstanden sei. Da eine ordentliche Kündigung erst zum Ende des Jahres 1997 möglich gewesen sei, seien ihm ferner für das Jahr 1997 Erträge von DM 479.611,16 entgangen, die bei Steigerungen des Geschäftsvolumens noch höher gelegen hätten. Ferner leitet der Bekl. weitere Schadensersatzforderungen daraus her, daß er höhere Zölle - insgesamt DM 5.065,32 Mehrkosten - habe zahlen müssen, da die Kl. nach ihrer Kündigung keine Ursprungszeugnisse mehr für schon gelieferte Waren ausgestellt habe. Eine weitere Schadensersatzforderung von DM 929,56 ergebe sich daraus, daß ihm die Transportfirma FOB-charges in Hongkong in Rechnung gestellt habe, obwohl vereinbarungsgemäß die Kl. diese Kosten habe tragen sollen.

Der Aufrechnung stehe auch kein Aufrechnungsverbot entgegen. Zwar hätten die Parteien für die Einzellieferungen Zahlung "Net 30 (bzw. 40) days" vereinbart. Diese Formulierung bedeute aber keinen Aufrechnungsausschluß, wie das LG angenommen habe, da die Rechtsprechung die Netto-Kasse-Klausel nur zum - hier nicht einschlägigen -Schutz Dritter als Aufrechnungsverbot interpretiere. Ferner verstoße die Kl. gegen Treu und Glauben, wenn sie sich gegenüber der aus eigenem Vertragsverstoß folgenden Schadensersatzverpflichtung (aus unberechtigter fristloser Kündigung des Vertragsverhältnisses) auf ein Aufrechnungsverbot berufe. Schließlich sei ein eventuelles Aufrechnungsverbot auch dadurch abbedungen worden, daß die Kl. dem Bekl. Gutschriften erteilt habe.

Die Kl. trägt vor, daß dem Bekl. kein Schadensersatzanspruch zustehe, mit dem er aufrechnen könne. Denn die Kl. sei zur fristlosen Kündigung des Alleinvertriebsvertrages aus wichtigem Grund berechtigt gewesen, da der Bekl. zum einen Zahlungen teilweise erst mit einem Verzug von 15 Monaten erbracht habe, ferner nicht angefallene Reisekosten und Transportzuschläge berechnete und hinsichtlich der Lieferung der 7000 Leiterplatten eine Minderung auf 0 in Anspruch genommen habe, obwohl die Kundin des Bekl. diese Lieferung gegen eine geringe Minderung abgenommen habe Die behauptete Minderungsvereinbarung zwischen dem Bekl. und dem Geschäftsführer der Kl., L., sei schon wegen ihres Inhaltes sitten- und gesetzwidrig und daher nichtig gewesen. Jedenfalls sei sie wegen Täuschung wirksam angefochten worden, da die behaupteten Mängel nicht vorgelegen hätten. Ferner habe der Bekl. seine behauptete Schadensersatzforderung nicht hinreichend substantiiert. Schließlich scheitere eine Aufrechnung auch an dem vereinbarten Aufrechnungsverbot, das aus der Kasseklausel folge. Es sei unzulässig, die erteilten Gutschriften für die Auslegung der Klausel heranzuziehen. Auch die weiteren vom Bekl. geltend gemachten Schadensersatzforderungen hält die Kl. für unbegründet

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung war zurückzuweisen Das LG hat den Bekl. zu Recht verurteilt, gemäß Art. 53 CISG Restkaufpreise in Höhe von DM 173.707,48 an die Kl. zu zahlen.

1. Das CISG ist hier kraft stillschweigender Rechtswahl anwendbar. Eine stillschweigende Rechtswahl für die einzelnen Liefergeschäfte folgt hier aus der Rechtswahlklausel, die die Parteien in Art. 11 ihres Alleinvertriebsvertrages vereinbart haben. Die Rechtswahl in einem Vertriebsvertrag gilt zwar nicht unmittelbar und ohne weiteres auch für die einzelnen Geschäfte, die in Ausfüllung des Vertrages durchgeführt werden. Grundsätzlich sind der Vertriebsvertrag und die einzelnen Durchführungsgeschäfte vielmehr kollisionsrechtlich selbständig zu beurteilen (vgl. auch BGHZ 74, 136 [noch zum EKG]) Doch stellt die Rechtswahl in einem Rahmenvertrag, soweit nicht andere Anhaltspunkte vorliegen, ein starkes Indiz dafür dar, welchem Recht die Durchführungsgeschäfte unterstehen sollen. Denn mit der Rechtswahl im Rahmenvertrag haben die Parteien deutlich zum Ausdruck gebracht, daß ihre Rechtsbeziehungen, zu denen die Durchführung der Einzelgeschäfte ebenfalls gehört, grundsätzlich dem gewählten Recht unterstehen sollen.

Die hier vereinbarte Rechtswahlklausel ist mit dem LG dahin auszulegen, daß die Parteien deutsches Recht vereinbaren wollten. Zwar ist die Klausel "the law governing this agreement as per European common market (EU)" ungewöhnlich und nicht sehr klar formuliert. Es ist ihr aber der eindeutige Parteiwille zu entnehmen, daß jedenfalls nicht chinesisches Recht, sondern in der EU geltendes Recht maßgebend sein soll. Hieraus könnte abgeleitet werden, daß das in der EU oder jedenfalls in den Staaten des vertraglichen Vertriebsgebietes (Deutschland, Schweiz, Österreich, Niederlande) einheitliche Recht vereinbart werden sollte. Doch gilt es ein allgemeines einheitliches Vertragsrecht, insbesondere für Alleinvertriebsverträge, in der EU bisher nicht -selbst das CISG gilt nicht in allen EU-Staaten und erfaßt auch grundsätzlich nicht Vertriebsverträge (von Caemmerer/Schlechtriem/Schlechtriem, Komm. zum einheitlichen UN-Kaufrecht - CISG - [2. Aufl. 1995] vor Art.14-24 Rz. 7; Staudinger/Magnus, Wlener UN-Kaufrecht [CISG] [1994] Art.1 Rz.37). Die hier vereinbarte Rechtswahlklausel ist nach Auffassung des Senats deshalb dahin auszulegen, daß das mit dem Sachverhalt am stärksten verbundene europäische Recht gewählt werden sollte. Dies ist das deutsche Recht, in dessen Geltungsbereich der Bekl. seine geschäftliche Niederlassung hat und dessen Geltungsbereich auch den Großteil des Vertriebsgebietes ausmacht. Für die Geltung deutschen Rechts hat sich auch die Kl. im Verfahren ausgesprochen; der Bekl. ist dem nicht entgegengetreten.

Die Wahl des deutschen Rechts schließt das CISG als Teil der deutschen Rechtsordnung ein (BGHZ 96, 313 [noch zum EKG]; zum CISG OLG Düsseldorf, IPrax 1993, 412 mit Anm. Magnus, IPrax 1993, 390; Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht [1996] Rz. lS; Staudinger/ Magnus, Art.1 Rz. 104). Da die übrigen räumlichen, zeitlichen, sachlichen und persönlichen Anwendungsvoraussetzungen des CISG gegeben sind - die Kaufvertragsparteien haben ihre Niederlassungen in Vertragsstaaten, die das CISG zum 1. 8.1988 (China) und zum 01.01.1991 (Bundesrepublik Deutschland) in Kraft gesetzt haben -, ist für die einzelnen Kaufgeschäfte das CISG anzuwenden.

2. Der Zahlungsanspruch der Kl. in Höhe von DM 173.707,48 dessen Entstehen unstreitig ist, folgt aus Art. 53 CISG i. V. m. den einzelnen Lieferverträgen.

3. Die Einwendungen des Bekl. gegen die Forderungen der Kl. greifen nicht durch.

a) Die Einrede der Verjährung gegenüber Forderungen der Kl. i.H.v. DM 40.200 aus dem Jahre 1994 hat keinen Erfolg. Für die Verjährung der vertraglichen Zahlungsansprüche sind hier die Vorschriften des BGB - als des stillschweigend gewählten deutschen Rechts - maßgebend, da das CISG, das als speziellere Regelung an sich Vorrang hat, zur Verjährung nichts sagt. Die zweijährige Ausschlußfrist des Art.39 Abs.2 CISG bezieht sich nur auf Mängelansprüche, nicht jedoch auf Zahlungsansprüche. Damit gilt nach § 196 Abs. 2 BGB eine vierjährige Verjährungsfrist, da die Kl. als gewerblich handelndes Unternehmen als Kaufmann i. S. d. § 196 Abs.1 Nr.1 BGB zu betrachten ist und ihre Lieferung für den Gewerbebetrieb des Bekl. erbracht hat. Bei Klageerhebung im Jahr 1997 war die Vierjahresfrist noch nicht abgelaufen.

b) Auch der Aufrechnungseinwand des Bekl. ist unbegründet. Denn der Aufrechnung steht, soweit es um die Forderungen der Kl. geht, die nicht auf der Lieferung der 7000 Leiterplatten beruhen, ein vereinbartes Aufrechnungsverbot entgegen. Daß diese Forderungen in Höhe von DM 141.962,63 entstanden waren, ist unstreitig. Die Parteien hatten, wie zwischen ihnen ebenfalls unstreitig ist, für die diesen Forderungen zugrunde liegenden Einzelgeschäfte als Zahlungsklausel "net 40 days" vereinbart. Die Auslegung dieser Vertragsklausel richtet sich nach dem Maßstab des CISG. Um die Bedeutung einzelner Vertragsklauseln zu ermitteln, ist gemäß Art.8 Abs.1 CISG vom erkennbaren Parteiwillen auszugehen und im übrigen gemäß Art.8 Abs.2 und Art. 9 Abs.2 CISG ein objektiver und internationaler Auslegungsmaßstab anzulegen (vgl. Bianca/Bonell/Farnsworth, Commentary on the International Sales Law. The 1980 Vienna Sales Convention, 1987, Art.8 Bem.2.4; von Caemmerer/Schlechtriem/Junge, Art. 8 Rz.7 ff.; Staudinger/ Magnus, Art. 8 Rz.17 ff.). Aufgrund dieses Maßstabes ergibt sich, daß die Vereinbarung einer Netto-Zahlungspflicht bedeutet, daß der Schuldner keine Abzüge vornehmen darf. Er soll für die erhaltene Lieferung zunächst vollständig zahlen und eigene Gegenansprüche dann selbständig geltend machen. Der "Netto" oder "Netto Kasse"-Klausel wird deshalb in Deutschland kraft Handelsbrauch ein Aufrechnungsausschluß entnommen (BGH.Z 14, 62; BGHZ 23, 131 ["netto Kasse gegen Rechnung und Verladepapiere"]; BGH NJW 1985,550 m. zust. Aufs. Lebuhn, IPrax 1986,19 ["cash on delivery"]; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 115 ["binnen 7 Tagen rein netto Kasse ohne Abzug"]; Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl. 1995; § 346 Stichwort "Kasse, Kasse gegen Dokumente"; Palandt/Heinrichs, § 387 Rz.14; Staudinger/Gursky, § 387 Rz.173; eingehend auch Liesecke, WM 1978, Beil.3 S.8f.). Ganz ähnlich wird die Klausel "net" oder "net cash" etwa auch in der englischen Rechtsprechung verstanden (Biddell Brothers v. Clemens Horst Company [1911] 1 K.B. 934 [C.A.] 940 [für "net cash": "no credit and no deduction by way of discount or rebate or otherwise . .."]; ebenso Benjamin on Sale [4. Aufl. 1992] Rz.9 - O60).

Daß die Netto-Kasse-Klausel dagegen nur einen Aufrechnungsausschluß bedeute, wenn der Schutz Dritter das erfordere, wie der Bekl. meint, ist weder den angegebenen Entscheidungen noch dem allgemeinen Verständnis dieser Klausel zu entnehmen. Vielmehr soll sie auch und gerade im Verhältnis der Parteien zueinander sichern, daß der Zahlungsgläubiger sich darauf verlassen und damit kalkulieren kann, zunächst den vollen Preis für seine Leistung zu erhalten.

Die Berufung der K1. auf den Aufrechnungsausschluß ist auch nicht treuwidrig, wie der Bekl. meint. Auch innerhalb des CISG ist der Grundsatz von Treu und Glauben im Verhältnis der Parteien zueinander zu beachten (Bianca/ Bonell/Bonell, Art. 7 Bem. 2.4.1; von Caemmerer/Schlechtriem/Herher, Art. 7 Rz.1; Staudinger/Magnus, Art. 7 Rz.1O). Auf Grund dieses Prinzips müßte die K1. den Aufrechnungseinwand möglicherweise trotz des vereinbarten Aufrechnungsausschlusses dann gegen sich gelten lassen, wenn dem Bekl. Forderungen aus Vertragsverstößen der K1. zustünden. Das ist aber, wie unten näher ausgeführt, nicht der Fall.

Entgegen der Auffassung der Bekl. ergeben ferner auch nicht- die Gutschriften, die die K1. in einzelnen Fällen erteilt hat, daß damit die Netto-Zahlungsklausel generell abbedungen worden wäre. Denn ein vereinbarter Aufrechnungsausschluß verbietet dem Zahlungsgläubiger nicht, berechtigte Gegenforderungen des Schuldners gleichwohl anzuerkennen und von der vollen Zahlung insoweit abzusehen. Daß die K1. aber auch bei streitigen Forderungen auf das Recht verzichtet habe, zunächst vollständige Zahlung verlangen zu können, trägt der Bekl. selbst nicht vor. Im Umfang von DM 141.962,63 scheitert die Aufrechnung damit an dem vereinbarten Aufrechnungsausschluß.

c) Auch gegenüber der Forderung der Kl. in Höhe von DM 31.744,85 für die Lieferung von 7000 Leiterplatten greifen die Einwendungen des Bekl. nicht durch.

aa) Zunächst hat die Kl. diese Forderung dem Bekl. nicht durch eine Minderungsvereinbarung erlassen. Dabei kann es dahinstehen, ob die Parteien eine entsprechende Minderungsvereinbarung wirksam abgeschlossen haben. Denn jedenfalls hat die Kl. ihre Zustimmung zu der .Minderungsvereinbarung, die ihr Geschäftsführer L. abgegeben hatte, wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten.

Für die Anfechtung ist deutsches Recht maßgebend. Zwar untersteht zunächst auch die Vereinbarung über Änderungen eines dem CISG unterfallenden Vertrages dieser Konvention (Art.29 Abs. 1 CISG). Die materielle Gültigkeit eines Vertrages und seiner Änderungen und damit auch die Anfechtung wegen eventueller Willensmängel wird vom CISG aber nicht geregelt (Art.4 Buchst. a CISG). Insoweit gelten die allgemeinen Bestimmungen des autonomen Kollisionsrechts. Die Anfechtung einer vertraglichen Vereinbarung richtet sich gemäß Art. 31 Abs. 1 EGBGB nach dem Statut des angefochtenen Vertrages (Reithmann/Martiny/ Martiny, Internationales Vertragsrecht [5. Aufl. 1996] Rz. 226; Soergel/von Hoffmann, Art. 31 Rz. 9; Staudinger/ Hausmann, Art. 31 Rz. 18). Da die Parteien hier, wie oben ausgeführt, als ergänzendes Vertragsstatut deutsches Recht stillschweigend gewählt haben, ist die Anfechtung nach § 123 BGB zu beurteilen.

Hiernach hat die Kl. ihre Zustimmung zur Minderungsvereinbarung wirksam angefochten. Denn zwischen den Parteien ist einerseits unstreitig, daß der Bekl. der Kl. mitgeteilt hatte, daß die gesamte Lieferung von 7000 Leiterplatten unbrauchbar sei. Andererseits ist unstreitig, daß die Kundin des Bekl. die Leiterplatten, deren Gesamtpreis unstreitig DM 53.870 betrug, gegen eine Minderung von DM 2,49/Stück (mit Mehrwertsteuer = DM 20044,50) abnahm. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Bekl. die Kl. darüber getäuscht hat, daß die 7000 Leiterplatten nicht vollständig unbrauchbar waren, sondern tatsächlich gegen eine teilweise Minderung abgesetzt wurden. Dem Bekl. muß auch bewußt gewesen sein, daß sich die Kl. bei dieser Sachlage nicht auf eine Minderung ihrer Forderung auf Null eingelassen hätte. Die K1. hat die Anfechtung ferner innerhalb der Jahresfrist des § 124 Abs. I BGB nach der Entdeckung der Täuschung, nämlich mit Fax vom 05.10.1996 erklärt, nachdem sie die 7000 Leiterplatten unstreitig am 21. und 28.06.1996 geliefert hatte und er erst danach von der Täuschung erfahren haben kann.

bb) Auch gegenüber der Zahlungsforderung aus der Lieferung der 7000 Leiterplatten greift der Aufrechnungseinwand des Bekl. nicht durch.

Zwar ist es zweifelhaft, ob der mit der Netto-Klausel vereinbarte Aufrechnungsausschluß auch insoweit gilt. Denn in Höhe ihrer Forderung von DM 31.744,85 hatte die Kl. bereits eine Gutschrift erteilt, um deren Beseitigung es ihr geht. Der Zweck der Netto-Kasse-Klausel, den Zahlungsgläubiger zunächst hinsichtlich der vollen Zahlung sicherzustellen, kann hier nicht mehr in gleicher Weise wie bei ursprünglicher Zahlung wirken. Doch kann offen bleiben, ob der Netto-Klausel auch insoweit ein Aufrechnungsausschluß zu entnehmen wäre. Denn dem Bekl. steht eine aufrechenbare Gegenforderung nicht zu.

Denn die Kl. hat mit der fristlosen Kündigung des Alleinvertriebsvertrages keine Vertragsverletzung begangen, die den Bekl. zu Schadensersatz berechtigen würde. Vielmehr war sie nach Art. 8 (3) des Alleinvertriebsvertrages berechtigt, den Vertrag aus wichtigem Grund zu beenden. Art. 8 (3) des Vertrages erlaubt eine fristlose Kündigung („without notice"), wenn besonders wichtige Gründe wie (Konkurs oder Auflösung („particulary important reasons, such as bankruptcy or winding up) gegeben sind.

Für die Auslegung dieser Vertragsklausel gilt gemäß Art. 32 Abs. 1 Nr. I EGBGB das den Vertrag beherrschende, hier also deutsches Recht, da der Vertriebsvertrag als solcher nicht unter das CISG fällt.

Die Aufzählung in Art. 8 (3) des Vertriebsvertrages ist nicht abschließend, wie aus der Formulierung „such as folgt, die erkennen läßt, daß Konkurs (bankruptcy) und Auflösung (winding up) nur Beispiele für besonders wichtige Gründe für eine fristlose Vertragsbeendigung sind. Nach Auffassung des Senats fallen auch massive und gravierende Vertragsverstöße unter die Vertragsbestimmung, soweit sie die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar machen. Dann stehen sie an Gewicht den beispielhaft erwähnten Fällen gleich, die die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses ebenfalls gravierend einschränken oder unmöglich machen.

Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, daß der Fall wesentlicher Vertragsverletzung in Art. 8 (4) des Vertriebsvertrages geregelt ist, der der Kl. ein Kündigungsrecht einräumt, wenn der Bekl. seine Vertragspflichten in erheblichem Maß verletzt und das auch nicht binnen 90 Tagen nach schriftlicher Mahnung korrigiert („fails substantially to fulfil his contractual obligations and has not rectified matters within 90 days of receiving written notice). Diese Bestimmung setzt Vertragsverstöße erheblicher Art voraus, allerdings der Art, daß die Folgen noch korrigiert werden können. Das wird etwa hinsichtlich verzögerter Zahlungen anzunehmen sein. Soweit aber die Vertrauensbasis zwischen den Vertragsparteien zerstört worden und eine Fortsetzung des Vertrages zumutbar ist, kommt eine "rectification" nicht in Betracht und kann nicht weiteres Zuwarten verlangt werden. Fälle dieser Art fallen daher unter Art. 8 (3) des Alleinvertriebsvertrages. Im hier zu entscheidenden Fall hat die Kl. in ihrem Schreiben vom 05.10.1996 mit der - oben bereits erörterten - Täuschungshandlung des Bekl., mit unberechtigt abgerechneten Reise-, Transport- und weiteren Kosten und mit zahlreichen und erheblichen Zahlungsfristüberschreitungen Umstände geltend gemacht, die es rechtfertigen, die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses als unzumutbar zu betrachten. Der Bekl. ist den Vorwürfen in ihrer Substanz auch nicht entgegengetreten. Die Kl. war daher zur fristlosen Kündigung des Vertriebsvertrages berechtigt.

Ein möglicher Schadensersatzanspruch des Bekl. scheitert darüber hinaus daran, daß der Bekl. trotz der Hinweise des Senats in der Verfügung vom 11.05.1998 sowie im Senatstermin vom 29.06.1998 seinen behaupteten Schaden nicht substantiiert dargelegt hat. Er hat lediglich seine Umsätze und Roherträge für die Jahre 1995 und 1996 sowie Schätzungen für das Jahr 1997 mitgeteilt. Hieraus hat er einen Gesamtschaden von mindestens DM 655.742,32 errechnet. Daß dem Bekl. ein Schaden in dieser Höhe entstanden ist, läßt sich anhand des vorgelegten Zahlenmaterials indessen nicht nachvollziehen. So veranschlagt der Bekl. für 1996 einen Umsatzverlust von DM 653.527,02 aus dem dann entgangene Erträge von 170.136,48 abgeleitet werden. Da die fristlose Kündigung zum 10.10.1996 erfolgte und der Bekl. selbst für 1996 einen Jahresumsatz von DM 1.171.730,34 angegeben hat, konnte ihm allenfalls etwa ein Drittel des Jahresumsatzes (= DM 390.576,78) entgangen sein. Der für 1996 behauptete Schaden von DM 170.136,48 hätte dann fast 50 % des im letzten Quartal 1996 noch erzielbaren Umsatzes ausgemacht. In der vom Bekl. eingereichten Anlage B 15 zeigt sich dagegen, daß der Unterschied zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis ca. 1/3 des Endpreises ausmacht. Die Gemeinkosten des Bekl. sind hierbei zudem noch völlig unberücksichtigt. Aus den vorgelegten Unterlagen läßt sich ein möglicher Schaden des Bekl. auch nicht schätzen, da nicht einmal erkennbar ist, welche Umsätze des Jahres 1996 der Bekl. vor bzw. nach der Kündigung des Vertriebsvertrags erzielt hat.

Auch die weiteren Schadensersatzforderungen, die der Bekl. i.H.v. DM 5.065,32 für überzahlte Zölle sowie in Höhe von DM 929,46 für verauslagte Transportkosten geltend macht, sind nicht begründet. Hinsichtlich der überzahlten Zölle beruft sich der Bekl. zwar darauf, daß die Kl. nach der Kündigung des Vertriebsvertrages keine Ursprungszeugnisse mehr über bereits ausgelieferte Ware vorgelegt habe, so daß er statt 3,8 % Zoll einen Satz von 5,2 % habe zahlen müssen. Diese Darlegung genügt indessen nicht, einen Anspruch auf Ersatz der Zolldifferenz in der behaupteten Höhe zu begründen. Denn der Bekl. hat weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, daß er die Kl. seinerzeit zur Vorlage der Ursprungszeugnisse aufgefordert habe. Der Behauptung der Kl., er trete mit seiner Forderung jetzt erstmals zwei Jahre nach der Vertragsbeendigung an sie heran, hat der Bekl. nicht widersprochen. Hinsichtlich der verauslagten Transportkosten ist der Bekl. beweisfällig geblieben. Er hat zwar fünf Rechnungen der Fa. W. vorgelegt, die diese ihm über FOB-charges in Hongkong ausgestellt hat. Die Kl. hat die Berechtigung der Rechnungen bestritten, an denen auch auffällt, daß sie zwar für Leiterplatten der Kl. ausgestellt sind, als einzigen Posten aber nur die FOB-charges enthalten. Dagegen enthält die einzige vollständige Frachtrechnung vom 14.10.1996 ihrerseits keine FOB-charges. Da der Bekl. hierzu weder weitere Erläuterungen gegeben noch Beweis angetreten hat, kann der Betrag nicht als aufrechenbare Gegenforderung anerkannt werden.

Die Berufung war daher insgesamt zurückzuweisen

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Source

Published in German:
- Transportrecht (TranspR IHR), 1999, 37-40}}